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“Nachwachsende Energien – Momentan eine Sackgasse”

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Christine war über mehrere Tage unsere Gastgeberin im mittelfränkischen Meinheim. Einige Gedanken hat sie uns mit auf den Weg gegeben.

Christine schiebt ihre Lesebrille mit der rechten Hand von der Nase behutsam über ihr Haar nach oben, so dass sich ihr Pagenschnitt wie ein Vorhang hebt und ihr gutmütiges und sanftes Lächeln zur Geltung kommt. Es scheint, als wolle sie ihren Gedanken dadurch ein Tor öffnen, ihnen die Möglichkeiten DSC02174geben, sich zu entfalten, zu atmen. Diese sind mannigfaltig und weitläufig, denn Christine hat viel nachgedacht. Über Soziales und die Zukunft. Über ihr Wirken und Ihre Träume, ihre Region und die Mitmenschen. Ihre Unterlagen auf den Tisch legend, setzt sie sich auf den Küchenstuhl, immer präsent, verschränkt ihre Beine, atmet noch einmal tief und lange ein, fasst ihre Erinnerungen in Worte und gibt sie scheinbar ihrem Atem mit auf den Weg zurück aus ihrem Körper: “Seit 10 Jahren bin ich Sozialpädagogin und es war und ist immer das Richtige für mich.” Schon früh engagierte sie sich aktiv in der Jugendarbeit und hatte nie anderes im Sinn, als mit Menschen zu arbeiten. Nach der Geburt ihres ersten Kindes sortierten sie und ihr Mann ihre Zukunftspläne neu und riefen sich Christines Lebenstraum wieder auf den Plan: Ein Ferienhaus für geistig und körperlich behinderte Mitmenschen.

Ihr Wunschtraum steht nun seit 12 Jahren neben ihrem Wohnhaus und bietet uns ein prächtiges Teilzeit-Zuhause. In dem geräumigen, barrierefreien Haus finden wir alles, was es für ein optimales Workshop-Wochenende braucht: Waschen, Kochen, Wohnzimmer, Rückzugsräume, unseren Deep-Ecology-Workshop-Space und nicht zu vergessen den Wald, der an die 845 Einwohner fassende Ortschaft angrenzt. Die Seele jedoch, stellt eindeutig Christine und ihre Familie dar. Gatte und Kinder stehen mit vollster Überzeugung und Tatendrang hinter ihrer sozialen Idee. “Mit unseren Gästen gibt es einen komplett selbstverständlichen Umgang. Die Leute kommen auch immer rüber über den Garten. Da gibt es überhaupt keine Berührungsängste.” Ihre Kinder sind dadurch auch geprägt worden. “Die Große der vier Kinder studiert Sonderpädagogik, der Andere macht eine europäisches soziales Jahr,” sagt sie nicht ohne freudig berührt zu sein und wirkt dabei noch etwas strahlkräftiger als sie ohnehin schon ist. Mit kämpferischem Selbstverständnis fügt sie noch hinzu, dass den Kindern vermittelt werden muss, sich für wichtige Dinge einzusetzen. Es dürfe nicht gewartet werden, bis die Politik um die Ecke komme. Eigenengagement. Jeder in seinem Bereich. “Ich finde es wichtig, dass man sich nach der Arbeit um fünf Uhr nicht zurücklehnt und das Motzen anfängt, sondern etwas tut. Es ist schon beängstigend, wenn ich sehe, wie die Rechten überall kommen. Stell dir mal vor, dass das noch 20-30 Jahre weiter geht in dem Stil”, spielt sie auf die aktuelle Politikverdrossenheit und die schwindende Bereitschaft in der Bevölkerung an, sich für die Europäische Idee einzusetzen. Empathisch fügt sie jedoch mit ruhiger Stimme hinzu, die Leute verstehen zu können, welche tagtäglich auf die Arbeit gehen und all das politische Wirrwarr nicht mehr nachvollziehen können. “Da wundert mich die Reaktion nicht. Früher war es auch nicht anders. Da war es der Adel. Eigentlich das Gleiche”, rundet sie ihren Gedanken ab. Sie klingt dabei zum ersten Mal ein bisschen resigniert. Bei dem gegenwärtigen Szenario, in dem die Starken die Schwachen ausnehmen, zeigt sich der skeptische Teil ihrer Kämpfernatur. “Das kann man nicht ändern – immer nur begrenzen. Das wird es immer geben.” Leise entrückt ihr aber noch ein auflehnend schimmerndes “Eigentlich”, was dem Schnaufen eines müden Boxers gleichkommt, der den Kampf verloren weiß, jedoch auf die überaschenden Fügung hofft, die das Leben bereit hält und manchmal unvorhergesehen offenbart.

Bei anderen Themen wiederum verbreitet sie dennoch Hoffnung, wenngleich in fatalistischer Färbung, obwohl auch deren Entwicklung momentan alles andere als zufriedenstellend ausfällt. “Wir haben mittlerweile drei Biogasanlagen in der näheren Umgebung und die Pachtpreise für Agrarland steigen dadurch immens.  Es rentiert sich mittlerweile nicht mehr, Futtermittel anzubauen.” Nur noch der Maisanbau sei rentabel und nicht einmal mehr Biolebensmittel könnten hiermit konkurrieren. “Das wird unser ökologisches Problem der Zukunft!” Ein Statement. Ehrlich und ernst gemeint. Denn in der Schlußfolgerung dieser Entwicklung sieht sie neue Abhängigkeiten entstehen und bereits bestehen, wie z.B. die in diesem Zuge entstandene Peripherie, welche nicht mehr so einfach rückgängig zu machen sei. Außerdem würden die Böden durch die bestehende Monokultur komplett überdüngt. Reaktion aus der Bevölkerung kommt momentan nur dürftig. Hier müsse jedoch gewartet werden, bis “in 10 Jahren die Böden komplett kaputt sind”, konstatiert sie nüchtern. Jedoch sollte heute schon über Alternativen nachgedacht werden, um von dieser einseitigen Form der Landwirtschaft wieder weg zu kommen, denn “wenn man an den Vorgehensweisen bei nachwachsenden Energien nichts ändert, dann wird das eine Sackgasse.”

Jedoch hat die Region in den vergangenen Jahren auch große Fortschritte gemacht. So war ihr Traum durchaus einfacher durch das regionale Bestreben umzusetzen, Modellregion für barrierefreien Tourismus zu werden. Diesbezüglich schafft der Tourismusverband immer wieder Arbeitskreise um DSC02173das Thema auszubauen und voran zu bringen. Beispielhaft das Vorhaben des barrierefreien Brombachsees. Den AK bilden unter anderem sowohl die Vermieter und Anlagenbetreiber, wie auch der Bund Naturschutz oder das Wasserwirtschaftsamt . Eine Vogelbeobachtungswarte ist dort neben anderen Vorhaben bereits behindertengerecht umgebaut worden. Die hier entstandenen Kräfte beeindrucken nicht nur Christine tief, sondern auch umliegende Ortschaften und Gemeinden, wie Treuchtlingen, das jetzt einen Vertrag mit einer diakonischen Einrichtung abgeschlossen hat, mit der Absicht barrierefreie Stadt zu werden. Dieser Weg ist auch mit einigen Stolpersteinen gepflastert. Ihnen die Kanten mühsam abzurunden benötigt Zeit. Christine weiß aus eigener Erfahrung, dass für manche Menschen die Offenheit mancher ihrer Hausgäste auch schwierig ist, “da Gefühle direkter geäußert werden. Manchmal fühlen sich Leute vor den kopf gestossen. Da aber in der Region viele behinderte Menschen präsent sind, sind die Leute es mittlerweile gewohnt.”

Ihr Konzept schlug damals ein “wie eine Bombe”, weiß sie nicht ohne Stolz zu erzählen, “weil es solche Angebote an Behinderte nicht oft gab und leider immer noch viel zu selten gibt.” Sie trug dadurch ihren Teil zu zahlreichen Preisen bei, welche die Region bereits erhalten hat. Bis auf wenige Ausnahmen erlebte sie durchaus positive Resonanz in der Nachbarschaft. Ihr Enthusiasmus kennt aber in puncto Ausrichtung eines Engagements keinerlei Grenzen. So wünscht sie auch den Leuten der dunaVision ihr Ziel zu erreichen bzw. das es am Ende einen Wert darstellt, “für euch und eure Weggefährten!”

Wiederum fasst sie mit ihren Fingern ihre haarreifartig positionierte Brille, drapiert sie anmutig auf ihrer Nasenspitze, streckt ihren Rücken durch und wechselt in den Businessgestus. Auch Geschäftsfrau sein, muß im Repertoire ihres Ausdrucks einen Platz haben. Bei der Abrechnung scheint jedoch ihr Hang zum Visionären wieder Überhand zu erlangen. Erneuter Stellungswechsel Brille. Haarreiffuntion. “Ich kann euch nicht den vollen Preis abverlangen. Ihr seid ja auch  Idealisten.” Sagt es, laut lachend und lädt uns ein, jederzeit wieder zu kommen. Selbstbewußt verlässt eine Frau den Raum, die es jederzeit vermag, Räume der Zuflucht und des Wohlwollens zu schaffen. Danke und wir hören dich, Christine!


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